2023_04_01 - Unikate in vierter Generation 1
HWK

Unikate in vierter Generation

Seit 100 Jahren schätzen Jäger in aller Welt die Büchsen der Familie Ziegenhahn aus Zella-Mehlis.

Das Jahr 1923 wirkt aus heutiger Sicht manchmal wie eine Welt von einem anderen Stern und doch auch manchmal merkwürdig vertraut. Es ist ein Jahr großer politischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten. Das Rheinland wird besetzt, ein Laib Brot kostet über 230 Milliarden Reichsmark. Unter solchen Bedingungen den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen, ist sicher nicht das Erste, was einem in den Sinn käme. Und doch war dies genau das, was der 47jährige Alfred Ziegenhahn damals tat: Er gründete in Suhl seine eigene Büchsenmacherwerkstatt. Heute, einhundert Jahre später, existiert sie immer noch und feiert das runde Jubiläum als kleines, aber umso angeseheneres Handwerksunternehmen, dessen Produkte und Dienstleistungen bei Kunden in aller Welt höchste Wertschätzung genießen.



Erfolgsrezept durch Generationen

Dass diese Geschichte überhaupt begann, lag ausgerechnet an der 1923 in Kraft tretenden Verschärfung des Waffenrechts in der Weimarer Republik. Ohne Konzession keine Waffenherstellung und ohne Firma keine Konzession. So kam es, dass der gelernte Büchsenmacher aus dem Südharz selbständig wurde. Nicht Gewinnstreben diktierte das Handeln, sondern Pragmatismus und das Vertrauen auf das eigene Können. Letzteres hatte Alfred Ziegenhahn als Patentinhaber und prämierter Büchsenmacher bereits hinlänglich unter Beweis gestellt. Dieses Erfolgsrezept sollte sich in den kommenden Generationen bewähren, durch alle Höhen und Tiefen der Geschichte.

Nach der Republik kamen die Diktatur und mit ihr der Weltkrieg und der Zusammenbruch. Sohn Fritz gelang es, die Firma über Wasser zu halten und schließlich erfolgreich in das angestammte Geschäftsfeld zurückzuführen, nur diesmal unter realsozialistischen Vorzeichen. Enkel Rolf übernahm 1957 im Alter von nur 19 Jahren nach dem frühen Tod seines Vaters, festigte den guten Ruf der „Zi-Di“-Sportwaffen und bewahrte gegen alle Kollektivierungszwänge die Eigenständigkeit des Familienunternehmens. Das Jahr 1989 brachte die Wende, die Marktwirtschaft, die Treuhand und ein völlig neues rechtliches Umfeld, aber auch hier bewährten sich der Durchhaltewillen und das Know-how der Familie Ziegenhahn. Neue Werkstatträume in Zella-Mehlis wurden gefunden und ausgebaut, der (Wieder-)Einstieg in den internationalen Markt mit Unterstützung der ganzen Familie und der treuen Mitarbeiter geschultert.

Seit 2012 führt Büchsenmachermeister Jens Ziegenhahn den Betrieb in vierter Generation. Bereits seit 1993 war er gleichberechtigter Partner seines Vaters im Unternehmen. Prägnant bringt er die Erfolgsgeschichte seiner Familie auf den Punkt: „Gut entscheiden, selbst entscheiden, sich den Verhältnissen anpassen und auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen!" Diese Fähigkeiten schätzen heute Kunden aus aller Welt. „Ziegenhahn & Sohn Jagdwaffen e.K.“ fertigt Jagdgewehre individuell und von Hand nach Kundenwunsch, kunstvoll verzierte Unikate für Enthusiasten. Boxlock-Flinten, Kipplaufbüchsen, Seitenschlossflinten – sie alle tragen das renommierte Warenzeichen hinaus zu Jägern und Jagdsportschützen in aller Welt. Wartung, Reparatur und Restauration gehören ebenfalls selbstverständlich zum Angebot, denn in der Ziegenhahn‘schen Werkstatt sind das Wissen und die Fertigkeiten hierzu noch unter einem Dach vereint. Dazu kommen die intensiven, über Jahrzehnte gewachsenen Kontakte zu Graveuren und anderen Spezialisten vor Ort.



Größte Herausforderungen

Eine Erfolgsgeschichte also, auf die Jens Ziegenhahn mit Recht voller Stolz zurückblickt. Sein Dank gilt den treuen Mitarbeitern – sein aktueller Geselle begleitet die Firma seit vier Jahrzehnten – der Familie und den langjährigen Geschäftspartnern. Und doch betont er: Die Branche steht heute vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Gerade kleine Unternehmen benötigen leistungsfähige Fachkräfte, die bereit sind, eine wichtige Rolle auszufüllen und Verantwortung zu übernehmen, sie finden diese Mitarbeiter aber immer schwerer. Neue Exportvorgaben haben den bürokratischen Aufwand enorm gesteigert, was ebenfalls vor allem die Familienbetriebe am härtesten trifft. Schließlich hat die Jagd selbst immer mehr an Popularität verloren, was sich in der öffentlichen Akzeptanz genauso niederschlägt wie in der Nachfrage. Hochpreisige Jagdwaffen bestimmen heute das Bild, viele von ihnen für den Export. Internationale Wirtschaftskrisen wie jene in den USA von 2008 wirken sich deshalb umso mehr auf die Geschäftsentwicklung aus. Wird angesichts dessen auch noch die fünfte Generation in die Fußstapfen von Gründer Alfred Ziegenhahn treten?

Mike Kämmer, Präsident der Handwerkskammer Südthüringen, würde es dem Traditionsunternehmen von Herzen wünschen: „Die Familie Ziegenhahn hatte immer das, was ihr Handwerk ausmacht, nämlich die Leidenschaft, das Können und den Berufsethos. Qualität setzt sich durch, durch alle Höhen und Tiefen!“, betont er. Er ist überzeigt, dass auch noch in Jahrzehnten die Büchsen aus Zella-Mehlis in aller Welt den verdienten Anklang finden werden.