
Mike Kämmer, Präsident der Handwerkskammer Südthüringen, spricht bei einem Interview. Der Bestattermeister aus Zella-Mehlis wurde am 26. 11.2022 von der Vollversammlung der Handwerkskammer Südthüringen für die laufende Amtsperiode bis 2026 gewählt.
Unternehmensnachfolge im Fokus
Präsident Mike Kämmer blickt zurück auf 100 Tage im Amt
Herr Präsident, die ersten 100 Tage in Ihrem neuen Amt liegen hinter Ihnen. Haben Sie Ihre Kandidatur schon bereut?
Nein keineswegs, ich habe mich in meinem Leben immer wieder Herausforderungen stellen müssen, habe diese nie gescheut und bin daran gewachsen. Ich halte es mit Rainer Maria Rilke „Dass etwas schwierig ist, muss ein Grund mehr sein, es zu tun.“ Natürlich macht es mich demütig, zu wissen, dass das Vertrauen von über 6.500 Mitgliedsunternehmen auf mir ruht, aber ich freue mich zugleich sehr über die Chance, die mir gegeben wurde.
Angenommen, Sie hätten einen Wunsch für das Südthüringer Handwerk frei, was würden Sie sich wünschen?
Ich wünsche mir bezahlbare Energiepreise, ausreichenden Fachkräftenachwuchs, weniger Bürokratie und geringere Lohnnebenkosten. Oh, das sind ja schon vier Wünsche. In allererster Linie wünsche ich mir verlässliche Rahmenbedingungen für unsere Mitgliedsunternehmen. Handwerkerinnen und Handwerker müssen wieder langfristig planen können.
Bereits in Ihrer Antrittsrede haben Sie das Thema „Unternehmensnachfolge“ hervorgehoben. Wie sehen Sie hier das Südthüringer Handwerk aufgestellt?
Ich sehe in der Nachfolgefrage eine Mammutaufgabe, nicht nur für die betroffenen Unternehmen, sondern für das ganze Südthüringer Handwerk. Die demografische Entwicklung macht auch vor den Betriebsinhabern nicht Halt. Bis 2026 benötigen rund 3.800 Unternehmen im Freistaat eine Nachfolge, darunter auch eine Vielzahl von Handwerksunternehmen. Das betrifft vor allem die Lebensmittel-, Kfz- und Gesundheitshandwerke.
Für junge Meisterinnen und Meister sehe ich da eine ganz große Chance, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Man darf aber auch nicht verhehlen, dass es in vielen Unternehmen schon fünf vor zwölf ist. Mitarbeiter und Kunden brauchen Sicherheit, wie es weitergeht. Um die Nachfolgeregelung sollte man sich beizeiten kümmern, denn das geht nicht von heute auf morgen. Fünf Jahre sollte man mindestens einplanen und es ist nicht einfach, einen passenden Nachfolger zu finden. Die Uhr tickt.
Sie sind auch selbständiger Handwerksmeister. Was raten Sie Ihren Mitgliedsunternehmen, die vor dieser Herausforderung stehen?
Zum Glück habe ich für mein Unternehmen noch etwas Zeit, ich mache mir aber natürlich auch jetzt schon meine Gedanken. Zu allererst sollte man sich kompetenten Rat holen, um einen Überblick zu gewinnen. Am unkompliziertesten geht das bei der Betriebsberatung der Handwerkskammer. Dort lassen sich bereits viele Fragen klären, zum Beispiel rechtliche Erfordernisse, wie man an belastbare Zahlen etwa zum Unternehmenswert kommt, sowie gezielte Unterstützungs- und Finanzierungsmöglichkeiten.
Auf der anderen Seite finde ich die Projekte des ThEx (Thüringer Zentrum für Existenzgründung und Unternehmertum) überaus spannend. Dabei merken Viele: Der Meisterbrief ist nicht nur ein Qualitätssiegel, sondern auch die Eintrittskarte in die Selbständigkeit. Es sollten meiner Meinung nach künftig noch viel mehr Meisterinnen und Meister auf ihr unternehmerisches Können vertrauen und diesen Schritt wagen.
Was kann die Politik tun, um zu helfen?
Das eigene Unternehmen ist ein wenig wie das eigene Kind: Man hat es über Jahrzehnte aufgebaut - mit Fleiß, Schweiß und Leidenschaft - und ist durch Höhen und Tiefen gegangen. Man möchte es in guten Händen wissen. Deswegen machen sich Selbständige die Suche nach einem passenden Nachfolger nie leicht. Sie brauchen den Freiraum für diese Lebensentscheidung, ohne dass die Alltagsbürokratie ihnen Zeit und Nerven raubt.
Ist dann die Entscheidung gefallen, muss der weitere Weg frei von Hürden und Stolpersteinen sein. Oft müssen Nachfolger erst einmal investieren, brauchen einfach zugängliche Fördermittel und Sicherheiten. Ich denke da beispielsweise an ein spezielles Förderprogramm für Betriebsübernahmen, analog zur Meistergründungsprämie.
Kurzum: Unternehmertum muss attraktiv sein, da ist auch die Politik gefordert.
Den Betrieben drückt der Schuh besonders auch bei der Gewinnung und Sicherung von Fachkräften. Sehen Sie den Lösungsansatz hierfür eher in der Zuwanderungs- oder in der Bildungspolitik?
Eines geht nicht ohne das Andere. Ich höre häufig, dass die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen durch rechtliche und bürokratische Hürden erschwert ist und sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Zugleich berichten unsere Betriebe immer wieder, dass sie fehlendes schulisches Wissen in der Ausbildung nacharbeiten müssen.
Das Handwerk bietet Chancen für alle Schularten, vom Hauptschüler bis zum Gymnasiasten, und für jede Herkunft. Die Aufstiegsmöglichkeiten im Handwerk stehen denen eines Studiums in Nichts nach. Dazu müssen aber im Vorfeld alle Räder gut ineinandergreifen. Es braucht verlässliche und bedarfsgerechte Strukturen bei der dualen Ausbildung. Ich denke da unter anderem an das wohnortnahe Berufsschulnetz und an ein Nahverkehrsangebot, das zum Alltag unserer Azubis passt. Auf dieser Grundlage garantiert das Handwerk höchste Ausbildungsqualität.
Herr Kämmer, hier noch ein paar Stichworte: Pandemie, Energie, Inflation, Rezession. Wo sehen Sie das Südthüringer Handwerk am Ende Ihrer Wahlperiode?
Vor kurzem durfte ich mit einem alteingesessenen Familienbetrieb dessen 100-jähriges Jubiläum feiern. Der Firmeninhaber berichtete, dass sein Vorfahre Anfang 1923, obwohl die große Krise absehbar war, das Unternehmen gründete und mit Fleiß, Demut, Weitsicht und den richtigen unternehmerischen Entscheidungen seinen Weg ging.
Der sprichwörtliche „goldene Boden“ im Handwerk und die Beharrlichkeit unserer Handwerksbetriebe haben sich durch zahlreiche Notlagen erhalten. Zugleich legen wir bei den brennenden Themen von heute – Energie, Inflation, Rezession – den Finger in die Wunde, etwa im Spitzengespräch mit Ministerien und Landesregierung.
Ich bin überzeugt: Das Südthüringer Handwerk ist leistungsstark, verlässlich und kreativ. Mit den von der Politik und Gesellschaft zu schaffenden Rahmenbedingungen und mit den bewährten Handwerkstugenden wird es möglich sein, den Fortbestand unserer Unternehmen zu sichern.