Wo steht die Südthüringer Wirtschaft?

Fundierte Analysen und angeregte Diskussionen beim „Rohrer Dialog der Südthüringer Wirtschaftskammern“


Steckt Südthüringens Wirtschaft in der Dauerkrise oder ist am Ende doch alles halb so schlimm? Diese Frage stand im Mittelpunkt des „Rohrer Dialogs der Südthüringer Wirtschaftskammern“, der Ende Mai in der Klosterkirche des Berufsbildungs- und Technologiezentrums Rohr-Kloster der Handwerkskammer Südthüringen stattfand. Politischer Gast des Abends war Carsten Feller, Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft.

Bereits seit seinem Start im Jahr 2007 hatte der „Rohrer Dialog“ regelmäßig Unternehmer und Politiker zusammengebracht, um im direkten, offenen und ehrlichen Gespräch die großen Themen der Zeit zu erörtern. Nun setzten die Handwerkskammer Südthüringen und die Industrie- und Handelskammer Südthüringen diese Tradition fort. Die Südthüringer Wirtschaft habe fundierte Erfahrungen in die Diskussion einzubringen, so Mike Kämmer, Präsident der HWK Südthüringen und Gastgeber des Abends. Über 40 Unternehmerinnen und Unternehmern aus der Region begrüßte er an diesem Abend zum persönlichen Austausch.

Ernste Sorgen

Rückblick in den vergangenen Winter: Inflation, insbesondere im Energiesektor, gestörte Lieferketten, steigende Zinsen und weitreichende Verunsicherung über die künftige Gesetzeslage hatten damals gleich eine ganze Reihe von Branchen in Aufruhr versetzt. Auch die Südthüringer Wirtschaftskammern hatten sich mit einem offenen Brief positioniert.

„Wir machten uns ernste Sorgen: Wo läuft die deutsche Wirtschaft hin?“, erläuterte IHK-Präsident Torsten Herrmann die damalige Situation im Angesicht rückläufiger Konjunkturdaten und abnehmender Standortattraktivität. Beispielhaft nannte er steigende Arbeitskosten und Eingriffe in die Tarifautonomie, die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke in Zeiten massiv gestiegener Energiepreise und bürokratische Neuerungen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz, welches „für uns im Mittelstand so nicht machbar“ sei. Diese Faktoren markierten eine Abkehr von den erfolgreichen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und beeinflussten die Südthüringer Wirtschaft nachhaltig. Ein Handwerksunternehmer aus Meiningen hob insbesondere die indirekten Folgekosten neuer Gesetze hervor.

Eine in den letzten Jahrzehnten eingetretene Entfernung vom Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft diagnostizierte auch Prof. Dr. Robert Richert von der Hochschule Schmalkalden, indem er ordnungspolitische Maßnahmen und die Investitionstätigkeit des Staats ins Gesamtbild setzte. „Der Staat tut zu viel bei direkten Eingriffen und zu wenig, um Anreize zu setzen“, so sein Fazit. Die aktuelle Wachstumsschwäche treffe dabei Thüringens Wirtschaft härter als jene anderer Bundesländer, wie Dr. Jan Pieter Schulz, Referent Volkswirtschaft der IHK Südthüringen, und Dipl. oec. Carsten Bonß, Abteilungsleiter Beratung der HWK Südthüringen, anhand von Konjunkturdaten herausarbeiteten. Bereits seit 2014 hole die Thüringer Wirtschaft nicht mehr zum Bundesdurchschnitt auf, mehrere Unternehmen hätten sogar bereits Werke geschlossen. Aktuell sei die Lage vor allem im Handel, im Verkehrsgewerbe und im Bereich der Finanzdienstleistungen ernst, aber auch Zulieferunternehmen und das in Südthüringen besonders starke Baugewerbe befänden sich im Abwärtstrend.

Austausch auf Augenhöhe

„Wir sind weiterhin Exportnation und Exportweltmeister, als solche jedoch eben auch stark betroffen von internationalen Entwicklungen“, machte Staatssekretär Carsten Feller deutlich. Krisen, Strafzölle und eine angeschlagene Weltwirtschaft gingen an den Unternehmen nicht spurlos vorbei. Hinzu komme der zunehmende Fachkräftemangel. Der Freistaat Thüringen fördere deshalb konsequent Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung, Innovation, Digitalisierung und Energieeffizienz und habe sich auf Bundesebene für einen Industriestrompreis ausgesprochen. Auch verlässliche Ordnungspolitik sei essentiell, jedoch über die Zeit und wechselnde Situationen faktisch schwer durchzuhalten. Den Mindestlohn verteidigte er als „größte Lohnerhöhung ihres Lebens“ für über ein Drittel der Arbeitnehmerschaft, insbesondere im Hinblick auf den sozialen Frieden. Prof. Dr. Richert bestätigte die hohe internationale Verflechtung der heimischen Wirtschaft, wies jedoch ebenfalls darauf hin, dass Fördermaßnahmen effizienter seien, wenn sie Anreize schaffen statt konkrete Technologien und Aktionen zu unterstützen.

Konsens bestand darin, dass Fachkräftesicherung Not tue, doch gingen die Schwerpunkte der Diskussionsteilnehmer auseinander: Während Carsten Feller auf die Notwendigkeit verwies, Potenziale etwa bei der großen Anzahl an Jugendlichen ohne Schul- oder Berufsabschluss zu heben, regte die anwesende Unternehmerschaft an, Anreize für mehr Arbeitstätigkeit zu schaffen und solche für Nichtarbeit abzubauen. IHK-Präsident Torsten Herrmann brachte zudem ein gestuftes Renteneintrittsalter für verschiedene Berufsgruppen ins Gespräch. Landrätin Peggy Greiser merkte an, dass es nötig sei, Schieflagen im Bildungssystem zu beheben, um die duale Ausbildung nachhaltig zu stärken.

Im Hinblick auf immer neue bürokratische Vorgaben auf Bundes- und EU-Ebene wies Staatssekretär Feller darauf hin, dass diese auch seiner Meinung nach allzu oft „gut gemeint, aber schlecht gemacht“ seien. Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz etwa solle auch korrekt arbeitende Unternehmen vor unlauterem Wettbewerb schützen, doch seien am Ende zu viele Unternehmen davon betroffen. Thüringen sei bei mehreren Gelegenheiten für mehr Anreizsetzung statt Vorgaben eingetreten und habe sich auch für Moratorien ausgesprochen, um der Wirtschaft Zeit zur Anpassung zu geben, habe sich damit jedoch oft nicht durchsetzen können.

Die Unternehmen müssten allzu oft die Summe der guten Intentionen aller Ressorts verarbeiten, was viele Firmen überfordere, fasste IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Ralf Pieterwas zusammen. Aus diesem Grund regte er Moratorien an und unterbreitete der Landespolitik im Namen der Südthüringer Wirtschaftskammern ein Gesprächsangebot, um gemeinsam mit mehr Gewicht die Belange der Wirtschaft in Berlin und Brüssel zu vertreten. HWK-Präsident Mike Kämmer griff diese Anregung auf. Auch der „Rohrer Dialog der Südthüringer Wirtschaftskammern“ solle künftig fortgesetzt werden. „Wir werden weiter kritisch sein!“, so Kämmer.

„Wirtschaft ist zu fünfzig Prozent Psychologie“, gab Staatssekretär Carsten Feller in seinem Schlusswort zu bedenken. Er dankte deshalb allen Teilnehmern des Abends für die Gelegenheit zum Austausch auf Augenhöhe und brachte seinen Wunsch zum Ausdruck: „Lassen Sie uns trotz der schwierigen Lage mit Optimismus in die Zukunft blicken!

Unternehmer aus ganz Südthüringen waren zum „Rohrer Dialog“ ins BTZ Rohr-Kloster gekommen.