Nähen fürs Paradies

Claudia Granzow aus Eisfeld ist Schneiderin im Nebenberuf. Ihr Handwerk aus Leidenschaft macht nicht nur Kunden glücklich, sondern hilft auch dabei, ein großes Herzensprojekt in die Tat umzusetzen.


Für Claudia Granzow gibt es keinen Zweifel: „Schneidern ist meine Leidenschaft!“ So denken natürlich viele Handwerker, für die ihr Beruf nicht nur Broterwerb ist, sondern auch Familientradition oder Ehrenamt. Zwischen ihrer und Frau Granzows Handwerksgeschichte gibt es jedoch so manchen kleinen oder großen Unterschied. Die Schneiderwerkstatt unter dem Dach ihres Wohnhauses im Eisfelder Ortsteil Hirschendorf ist heute nämlich „nur“ das Nebengewerbe eines engagierten Multitalents, das sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte gleich mehrfach neu erfunden hat.

Besondere Handwerkskarriere

Alles begann, als die junge Claudia nach Möglichkeiten suchte, sich etwas Taschengeld dazuzuverdienen. Ursprünglich hatte sie einen Beruf mit Tieren erlernen wollen, doch da gleich mehrere ihrer Cousinen als Näherinnen arbeiteten, probierte auch sie sich im Umgang mit Nadel und Faden aus. „Ich habe meine Jugendweiheaussteuer zerschnitten und daraus T-Shirts, Hosen und Jacken genäht. Die waren einmalig!“, erinnert sich Frau Granzow an ihre ersten Versuche, für die sie den Schatz ihrer Großmutter benutzte, eine alte fußbetriebene Singer-Nähmaschine. Zwar gab es kurz Ärger wegen der teuren Aussteuer, doch es überwog am Ende das Lob der Oma für die gute Arbeit. Derart motiviert begann Claudia Granzow selbst eine Lehre zur Kleidungsfacharbeiterin und danach eine Arbeit beim VEB Bekleidungswerke HERKO in Heubach.

Dass dies ihr Traumberuf war, zeigte sich schon während der Ausbildung: Als es an die Hausarbeit ging, sollte es für sie nicht nur ein purer Text über Accessoires werden. Stattdessen nähte die junge Auszubildende in akribischer Kleinstarbeit Kleidungsstücke im Miniaturformat. „Ich will in dem, was ich mache, immer die Beste sein!“, erklärt Frau Granzow. Das Schneidern erlaubte ihr damals erstmalig, diesen Qualitätsanspruch an sich selbst voll auszuleben und sich immer neuen Herausforderungen zu stellen. Das Schicksal wollte es, dass die nächsten Jahre nicht arm an solchen Herausforderungen sein sollten.

Es kam die Wende und mit ihr das Aus für Claudia Granzows Arbeitgeber. Daraufhin sattelte sie um, ging ins Polsterhandwerk und zog künftig gewissermaßen anstelle von Menschen Stühle und Sessel an. In den wirtschaftlichen Turbulenzen dieser Jahre folgten Tätigkeiten als freie Handelsvertreterin und als selbständige Beraterin in der Musternäherei eines großen Spielwarenherstellers. „Ich habe mich immer gerne fort- und weitergebildet“, erinnert sie sich an diese Zeit, von der sie – bei aller Ungewissheit – später doch noch vielfach profitierte. Denn es war Anfang der 2000er Jahre, als sie sich entschloss, nicht nur im Rahmen ihres Hauptberufs eine selbständige Tätigkeit anzumelden, sondern auch für ihren Nebenberuf – Existenzgründungszuschuss sei Dank. Seither ist Claudia Granzow in der Handwerksrolle der Handwerkskammer Südthüringen als selbständige Maßschneiderin eingetragen. „Handelsvertreterin, Schneiderin, Polsterin, Kostümverleih – Ich habe einfach alles in diese Gewerbeanmeldung reingepackt“, blickt die Eisfelderin zurück auf die Anfänge ihres kleinen, aber feinen Unternehmens.

Glückliche Kunden

Heute ist Claudia Granzow hauptberuflich in der Pflege tätig – eine direkte Folge davon, dass sie ihren an Kinderlähmung erkrankten Bruder lange Jahre begleitet hat. Als er und ihre Mutter 2012 beide innerhalb weniger Monate von ihr gingen, war finanzielle Sicherheit in einer Festanstellung die oberste Priorität. Doch von der Selbständigkeit verabschiedete sich Frau Granzow damals nur im Hauptberuf, während zugleich ihre Schneiderwerkstatt eine wertvolle Stütze blieb, sowohl finanziell als auch emotional. Nicht zuletzt auch wegen so mancher Zeitungsartikel und Fernsehberichte, so etwa über ihr Engagement als Thüringer Bratwurstbotschafterin, wurde sie damals mit ihrem immer seltener werdenden Gewerbe über die Region hinaus bekannt und wurde damit auch für viele Kunden zur großen Hoffnung für so manches defekte Lieblingsstück. „Die Leute kamen zu mir und sagten ‚Sie sind unsere letzte Rettung! Wir haben schon überall herumtelefoniert, aber keinen anderen Schneider mehr gefunden.‘ Aber ich finde es schön, wenn die Leute dann glücklich sind“, erinnert sich Frau Granzow.

Neben Änderungen und Reparaturen, die heute den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausmachen, hat sie über die Jahre auch so manche Maßanfertigung erstellt. Zu ihren liebsten Stücken zählen phantasievolle Kostüme, viele davon aus unerwarteten Alltagsstoffen, doch auch andere Kleidungsstücke und sogar einmal eine Persenning, also eine Hülle für ein komplettes Segelboot, gehörten zu ihrem Portfolio. Hinzu kamen phasenweise Auftragsarbeiten in Kleinserie für Firmen oder die öffentliche Hand. „Ich habe alles genäht“, kommentiert Claudia Granzow und ihr ist dabei die Freude anzumerken, mit jedem ungewöhnlichen Auftrag auch eine neue Herausforderung gemeistert zu haben.

Ein Herzensprojekt

Doch gibt es noch eine andere, ganz besondere Triebfeder für die gefragte Unternehmerin im Nebenberuf, weshalb sie ihr Schneiderhandwerk bis heute voller Elan fortführt: 2017 rief sie, ermutigt durch Erfahrungen in ihrer Pflegetätigkeit, die private Familieninitiative „Paradies der Sinne“ ins Leben. Gemeinsam mit Projektteilnehmern aus Einrichtungen in der Umgebung gestaltet sie einen Garten voller vielfältiger Angebote, um daraus einen Ort der Gemeinschaft und des Wohlfühlens zu machen. Dazu gehört das Anlegen von Biotopen ebenso wie die Errichtung handwerklicher Bauten, die Pflege von Haustieren ebenso wie die Gestaltung geselliger Abende. Auch Einkaufstouren und Veranstaltungsbesuche bieten Frau Granzow und ihre Familie den beeinträchtigten Teilnehmern an, um ihnen ein Stück Normalität zu vermitteln und zugleich Inklusion und Teilhabe mit Gesundheitsförderung und dem Umweltschutzgedanken zu verbinden. Dieses außergewöhnliche Engagement wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, so etwa mit der „Thüringer Rose“, dem „DAK Pflegepreis“ und dem „Thüringer Demografiepreis“.

Neben gelegentlichen Spenden sind es die Einnahmen aus Frau Granzows Schneiderei, welche das „Paradies der Sinne“ überhaupt erst ermöglichen. Das Handwerk, das sie ihr Leben lang begleitet hat, gibt nun nicht mehr nur ihr selbst Freude und Sicherheit, sondern auch zahlreichen bedürftigen Mitmenschen. Auch wenn es nicht mehr ihr Hauptberuf ist, so war das Schneidern doch immer der rote Faden in ihrem Leben. „Es ist mein Herzblut“, fasst Claudia Granzow zusammen. „Es ist meine Liebe, meine Leidenschaft, es ist das, was ich gelernt habe. Ohne irgendetwas zu nähen, könnte ich mir mein Leben gar nicht vorstellen.“

Im Fundus von Claudia Granzow warten manche Schätzchen der vergangenen Jahrzehnte, so auch ein Kleid, welches sie gemeinsam mit einer jungen Finnin geschneidert hat, die einst bei ihr ein Praktikum absolvierte.