Proteststimmung auch in Südthüringen

Interview mit Kreishandwerksmeister Rainer Rudolph


Zahlreiche Südthüringer Handwerkerinnen und Handwerker haben sich in den vergangenen Wochen den aktuellen Bauernprotesten angeschlossen und sind für eine neue Wirtschaftspolitik eingetreten. Wir wollten wissen, wie derzeit die Stimmungslage unter der Handwerkerschaft in der Region ist. Dazu sprachen wir mit Rainer Rudolph, Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Schmalkalden-Meiningen/Suhl.


Herr Rudolph, wie bewerten Sie die aktuelle Stimmung unter der Handwerkerschaft? Welche Rückmeldungen erfahren Sie von Handwerksunternehmen derzeit?

Es muss dringend etwas passieren. Bis vergangenes Jahr war die Auftragslage vieler Handwerksunternehmen sehr gut. Aber nun sehe ich bereits einen Abwärtstrend. Die Industrie wandert ab. Der Mittelstand investiert nicht mehr. Der Wohnungsbau stagniert. Die Leute halten ihr Geld im privaten Bereich zurück. Die Politik ist zu widersprüchlich. Nehmen Sie als Beispiel ein denkmalgeschütztes Haus! Wie soll das gedämmt werden? Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht auf. Das passt für mich alles nicht zusammen.


Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die aktuellen Aktionen und Proteste deutschlandweit und auch die in Südthüringen?
Wir hatten eine Vielzahl von Rückmeldungen von unseren Mitgliedern dazu. Die haben uns gefragt: „Welche Unterstützung leistet denn da überhaupt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)?“ Wir können doch nicht nur Briefchen oder Postkarten schreiben. Da muss mehr kommen als nur eine Postkartenaktion oder zehn Minuten die Arbeit niederzulegen. Und dann kamen diese Aktionen auch viel zu spät. Wenn Sie mich fragen, war das ein Zwischending zwischen nichts und gar nichts.


Die fünf zentralen Forderungen an die Bundesregierung, die auf der Postkarte des ZDH zu lesen sind, wie ist Ihre Meinung und die ihrer Mitglieder dazu?
Ich denke, wir werden das Steuergesetz jetzt nicht mehr ändern können. Steuergesetze müssten aber dringend vereinfacht werden. Jede Subvention ist Betrug. Unsere Forderung „mehr Netto vom Brutto“ muss endlich umgesetzt werden. Bürokratieabbau ist ein ganz großes Thema. Es wird immer komplizierter und bürokratischer. Im Grunde bräuchte jedes Handwerksunternehmen einen Mitarbeiter, der jeden Tag die neuen Gesetze überblickt. Und einen für die Bürokratie. Und noch einen für die Steuer. Die Gesetzesgrundlagen sind erdrückend und unüberschaubar.


Inwieweit werden Sie von den Handwerkern um Unterstützung gebeten?
Wir versuchen täglich, unsere Mitglieder zu unterstützen. Sehr viele Anfragen erreichen uns regelmäßig. Wir möchten weiterhin viel bieten und das Niveau halten; zudem das tägliche Geschäft aufrechterhalten. Wir stehen hinter unseren Mitgliedern. Wir betreuen in der Kreishandwerkerschaft Schmalkalden-Meiningen/Suhl zwei Landesinnungsverbände, 18 Innungen und 680 Mitgliedsbetriebe mit knapp 1500 Beschäftigten. Wir versuchen unser Bestes. Jetzt sind aber alle gefordert – besonders auch die Kammern!


Welche Handwerke sind Ihrer Meinung nach am härtesten betroffen?
Das Lebensmittelhandwerk, aber auch das verarbeitende Gewerbe haben stark zu kämpfen. Die haben es gerade richtig schwer. Konditoren, Bäcker, Fleischer – Viele geben schon auf und oder verlassen aktuell das Handwerk. Die Lehrlingszahlen bewegen sich auf niedrigem Niveau auf Grund der Demographie. Und Insolvenzen werden mehr werden. Die Maler haben Probleme. Sanitär/Heizung/Klima geht nicht mehr lange gut. Auch die Tischler werden Probleme kriegen, weil im Privatbereich wenig geht. Baubetriebe haben teils keine Aufträge mehr für 2024. Sie alle solidarisieren sich mit den Bauernprotesten.


Hatten Sie denn seitens der Unternehmer konkrete Rückmeldungen zum 8. Januar erhalten?
Viele unserer Mitgliedsunternehmen waren schon an den Protesten beteiligt. Unsere Bäcker haben aktiv mitgemischt. Die hatten an dem Montag ihre Geschäfte dicht gemacht. Es gab viele Anfragen an uns, ob regional etwas in Schmalkalden stattfindet. Wir hatten Rückmeldungen, übergreifend aus fast allen Gewerken. Auch die Friseure und Heizungsbauer – alle sind ja betroffen.“


Nochmal zu der Aktion des ZDH – welche Rolle spielte dieser Aufruf für die Unternehmen?
Die Unternehmen und auch wir sind enttäuscht vom ZDH und den Fachverbänden. Der ZDH tut nicht genug, um mehr Druck aufzubauen und um das Anliegen auf die Straße zu bringen. Insbesondere diese Aktion am 19. Januar, wo jeder Handwerker seine Arbeit für zehn Minuten niedergelegen sollte, kam überhaupt nicht gut an. Es gibt beispielsweise einen Unternehmer, Michael Messerschmidt, stellvertretender Bundesfachgruppenleiter des ZVSHK, der hat dazu eine Stellungnahme an uns gerichtet. Darin heißt es: „Es ist unverständlich, fast schon demütigend, dass wir Handwerker unseren Unmut mittels Postkarten und verlängerten Kaffeepausen zum Ausdruck bringen sollen. Diese Maßnahmen wirken auf die Politik in dem Maße ein, wie der Versuch, sich bei dem aktuellen Wetter mit einem Streichholz zu wärmen.“ Wir Handwerker müssen mehr machen, als nur nette Worte auf eine Postkarte zu schreiben und kurz zehn Minuten inne zu halten.


Haben Sie denn das Gefühl, dass der Unmut der Handwerker an der Basis bei der Bundesregierung ankommt?
Leider nicht. Wir haben das Gefühl, es interessiert sich keiner. Die Verbände haben zu wenig Mitspracherecht. Keiner der Regierenden von Oben kommt an die Basis. Diese Aktion vom ZDH ändert nichts, im Gegenteil – sie war enttäuschend. Es muss viel mehr Druck aufgebaut werden. Jetzt sind alle gefordert, auch die Kammern. Ich denke beispielsweise an einen Auto-Korso, mit dem das ganze Handwerk aufsteht. So etwas würde den Druck erhöhen. Auch könnte sich das Handwerk immer freitags bei den Mahnfeuern an den Autobahnauffahrten in Südthüringen anschließen.


Herr Rudolph, am 7. Februar fand eine große Kundgebung im Rahmen der Bauernproteste mit Beteiligung des heimischen Handwerks auf dem Platz der Deutschen Einheit in Suhl statt. Ist das die Form des Protestes, die es Ihrer Meinung nach braucht?
Ich bin mir sicher, solche Aktionen stoßen bei den Handwerkern wie auch bei den Bauern auf großen Zuspruch. Wir haben diese Aktion unterstützt, indem wir einen Aufruf, gemeinsam mit den Obermeistern, gestartet haben. Das Handwerk steht Seite an Seite mit den Bauern und Spediteuren. Wir sitzen alle im selben Boot. Es ist ein wichtiges Signal.

Kreishandwerksmeister Rainer Rudolph: „Die Unternehmen und auch wir sind enttäuscht vom ZDH und den Fachverbänden. Der ZDH tut nicht genug, um mehr Druck aufzubauen und um das Anliegen auf die Straße zu bringen.“